Versionen im Vergleich

Schlüssel

  • Diese Zeile wurde hinzugefügt.
  • Diese Zeile wurde entfernt.
  • Formatierung wurde geändert.

 

Inhalt

Pfadfinden für ALLE – Inklusion in der DPSG

Die Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird nicht nur vom jeweiligen Alter und Entwicklungsstand bestimmt. Auch Faktoren wie Krankheiten und Behinderungen beeinflussen die Lebenswelt – sowohl direkt (z.B. durch körperliche Einschränkungen) als auch indirekt (z.B. durch gesellschaftliche Benachteiligung). In diesem Abschnitt geht es darum, wie Pfadfinden für alle möglich wird und wie wir dadurch einen Beitrag zur so genannten „Inklusion“ leisten können.

 Was hat Pfadfinden mit Inklusion zu tun?

 „Die Pfadfinderidee ermöglicht jungen Menschen, das eigene Leben zu entdecken und bewusst in die Hand zu nehmen. Menschen mit und ohne Behinderung erfahren sich in ihrer Selbständigkeit und als wechselseitige Bereicherung“ (aus der Ordnung der DPSG)

 Bei der DPSG sind alle willkommen, jeder Mensch wird in seiner Einzigartigkeit geschätzt und gefördert. Zudem setzen sich Pfadfinderinnen und Pfadfinder gemäß der Ordnung für ein gleichwertiges und gleichberechtigtes Miteinander in der Gesellschaft ein.

 Damit bekennt sich die DPSG eindeutig zur Inklusion. Dieser Begriff kommt vom lateinischen Verb „includere“, was so viel heißt wie „einschließen“ oder „einbeziehen“.

 Inklusion bedeutet, dass alle Bereiche des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens für alle Menschen gleichermaßen zugänglich sind. Im Sinne der Inklusion ist es völlig normal, unterschiedlich zu sein, mehr noch: Vielfalt wird positiv wahrgenommen. Jeder Mensch soll vollständig und gleichberechtigt dabei sein können - ganz unabhängig von persönlichen Merkmalen wie zum Beispiel Herkunft, Religion, Behinderung oder sexueller Orientierung. Inklusion als Haltung bezieht sich daher grundsätzlich auf ALLE Menschen und wird in der DPSG auch genau so gelebt und angestrebt.

 In diesem Baustein geht es nun aber speziell um die Inklusion im Hinblick auf Behinderungen. Bezogen auf diesen Bereich war 2009 ein wichtiger Meilenstein (auf dem Weg zur Inklusion). Da hat Deutschland damit begonnen, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Dieses internationale Übereinkommen stärkt die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihre Anerkennung als gleichberechtigte Mitmenschen.

Das bedeutet unter anderem, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung nun ein Recht darauf haben, genau wie alle Anderen auf eine Regelschule zu gehen anstatt auf eine Förderschule.

Auch die Inklusion in der Schule wird dazu beitragen, dass junge Menschen mit und ohne Behinderung immer öfter Zeit miteinander verbringen und Freunde werden. Und das wiederum bedeutet, dass eine gemeinsame Freizeitgestaltung immer alltäglicher wird – natürlich auch beim Pfadfinden.

Wo fängt „Behinderung“ an?

Von einer Behinderung spricht man, wenn bei einer Person bestimmte Funktionen dauerhaft eingeschränkt sind, sodass er/sie nicht vollständig am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Behinderungen können den Bewegungsapparat, die inneren Organe, Sinnesorgane, die geistigen Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit eines Menschen betreffen. Rund zehn Prozent unserer Gesamtbevölkerung haben eine Behinderung. Mögliche Ursachen von Behinderungen sind zum einen genetisch vererbte oder organische Veranlagungen sowie Komplikationen bei der Geburt. Andere Behinderungen entstehen durch Unfälle oder die Einwirkung von Gewalt, Giften oder Schadstoffen im Laufe des Lebens.

Beispiele für verschiedene Arten von Behinderungen sind

  • Trisomie 21: Das so genannte „Down-Syndrom“ wird genetisch vererbt. Menschen mit Down-Syndrom sind in der Regel kognitiv beeinträchtigt, bei der Ausprägung dieser Einschränkung gibt es allerdings große Unterschiede. Teilweise hat die Trisomie 21 auch physische Folgen, zum Beispiel Seh- oder Hörstörungen. Generell lässt sich feststellen, dass Gesehenes von Menschen mit Down-Syndrom leichter behalten werden kann als Gehörtes.
  •  Sehbehinderung und Blindheit: Sie kann angeboren sein oder durch Unfälle oder Krankheiten ausgelöst werden. Blinde Menschen orientieren und bewegen sich in gewohnter Umgebung und durch Hilfsmittel wie dem Taststock meist selbständig. Sie können lesen, in dem sie mit ihren Händen Punkte auf Papier oder einer speziellen Tastatur erspüren.  Im dichten Stadtverkehr oder auf kurvenreichen Wegen im Grünen ist es für eine blinde Person aber hilfreich, wenn er oder sie sich bei einer sehenden Person einhaken kann.
  • Querschnittslähmung: Sie entsteht durch eine Schädigung des Rückenmarks, was zum Beispiel die Folge eines Verkehrsunfalls sein kann. Von der Lähmung sind teilweise nur die Beine betroffen, teilweise aber auch Arme und Beine gleichermaßen. Die Lähmung und Beweglichkeit kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Menschen mit einer Querschnittslähmung sind in der Regel auf einen Rollstuhl angewiesen. Damit sie sich selbständig bewegen können, sind ebene Böden und Rampen wichtig.

 Die Bezeichnung „Behinderung“ ist generell nur eine Kategorie, die in der Praxis mit einer großen Bandbreite an Einschränkungen und Folgen einhergehen kann. Es gibt Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich in ihrer Teilhabe keineswegs behindert fühlen. Umgekehrt können Menschen, die keine Beeinträchtigung im klassischen Sinne haben, in ihrem Alltag dauerhaft Barrieren erleben.

Zum Beispiel durch eine körperliche oder seelische Krankheit/Störung wie etwa

  •  Asthma: Chronische Erkrankung der Atemwege. Mögliche Folgen sind unter anderem Husten und Atemnot. Asthma kann mit Medikamenten behandelt und dadurch meist so unter Kontrolle gehalten werden, dass der Alltag kaum betroffen ist. Menschen mit Asthma müssen allerdings ihre Atmung genau beobachten und dürfen sich körperlich nicht überfordern, beispielsweise beim Sport.
  •  Epilepsie: Eine Krankheit, bei der durch Prozesse im Gehirn unkontrollierbare Muskelkrämpfe und Zuckungen ausgelöst werden, so genannte „epileptische Anfälle“. Die meisten dieser Anfälle sind ungefährlich und hören von selbst wieder auf, es besteht aber ein hohes Verletzungsrisiko beim Hinfallen. Epileptiker/innen müssen Sportarten meiden, bei denen ein epileptischer Anfall sie in Gefahr bringen würde, oder spezielle Schutzmaßnahmen treffen (z.B. durch das Tragen eines Helms).
  •  ADHS: Die Abkürzung steht für „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung“. Verursacht wird ADHS durch Stoffwechselstörungen im Gehirn. Menschen mit ADHS fällt es zum Beispiel schwer, sich auf eine Sache zu konzentrieren, ruhig sitzenzubleiben oder ihre Gefühle im Griff zu behalten. Teilweise finden Betroffene (oder auch deren Lehrer und Eltern) für den Alltag wirksame Strategien, um den Alltag zu meistern. Teilweise müssen aber auch Medikamente eingenommen werden.

 Die Abgrenzung zwischen Behinderung und Beeinträchtigung ist also schwierig. Zudem ist selbst Behinderung nicht gleich Behinderung, sondern wird von jedem Menschen unterschiedlich erlebt. Kategorien wie „Beeinträchtigung“ oder „Behinderung“ sollten beim Pfadfinden daher keine allzu große Rolle spielen - denn nicht die jeweilige Einschränkung, sondern der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt. Wir schieben niemanden vorschnell aufgrund seiner oder ihrer Behinderung in eine Schublade, sondern nehmen jeden Menschen so, wie er oder sie ist, mit seinen individuellen Stärken und Schwächen. Auch beim Thema Inklusion kommt es also vor allem auf eines an: „Look at the boy“ / Look at the girl“

Inklusion beginnt im Kopf

Auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, in der alle Menschen die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben, müssen an vielen Stellen Barrieren abgebaut werden. Manchmal fehlt es an Rampen, mit denen man Stufen überwinden kann - oder an Regelschulen, die den Bedürfnissen von Kindern mit Behinderung[1] entsprechen. Viele Barrieren aber sind unsichtbar in unseren Köpfen.

Es kommt zum Beispiel häufig vor, dass wir…

  • das Thema Behinderung gedanklich mit einem Gefühl von Mitleid oder Hilflosigkeit verknüpfen. Das merkt man übrigens auch in den Medien - achtet mal bewusst darauf, wie über behinderte Menschen geschrieben wird.
  • verunsichert sind, wie wir uns gegenüber Menschen mit Behinderung verhalten sollen.
  • ein bestimmtes Bild von Behinderung im Kopf haben und daraus automatisch Schlüsse ziehen, wenn wir Betroffenen begegnen.

Solche Phänomene entsprechen unserer menschlichen Natur und sind uns oft gar nicht bewusst. Und doch bestimmen sie, wie wir mit den Themen Behinderung und Inklusion umgehen, ohne dass wir das merken. Zum Beispiel in der U-Bahn, wenn wir uns fragen, ob wir dem blinden Mann den Weg zur Tür zeigen sollten. Oder in dem Moment, wenn eine Mutter anruft und fragt, ob ihr behinderter Sohn in die Gruppenstunde kommen kann.

Hemmungen, Berührungsängste und bestimmte Denkmuster lassen sich nicht ausschalten wie ein Computer. Es macht auch wenig Sinn, sie zu verleugnen. Es ist vor allem wichtig, dass wir uns diesen Barrieren bewusst werden, sie hinterfragen und über den Haufen werfen, wo es uns möglich ist. Denn manche äußere Barrieren (z.B. an Häusern oder draußen in der Natur) lassen sich nur schwer überwinden, aber die Barrieren in unseren Köpfen haben wir selbst in der Hand.

Es lohnt sich also, einen Blick auf die eigenen Hemmungen und Berührungsängste zu werfen, egal ob es im eigenen Stamm Mitglieder mit Behinderung gibt oder nicht. Schließlich sind alle Pfadfinder ein Teil der Gesellschaft und damit mitverantwortlich für Inklusion.

Leiterinnen und Leiter können Behinderung zum Thema machen, indem sie…

  • in der Gruppenstunde oder Leiterrunde Fragen wie diese aufwerfen: Welche Erfahrungen habt ihr schon mit Menschen mit Behinderung gehabt? Seid ihr mit dem Thema Behinderung schon in Kontakt gekommen? Inwiefern prägt das vielleicht euren Blickwinkel?
  • in der Gruppenstunde oder Leiterrunde verschiedene Bilder auslegen, die etwas mit Behinderung zu tun haben. Darauf können beispielsweise Kinder oder Jugendliche mit Behinderung abgebildet sein, berühmte Persönlichkeiten oder Paralympics-Sportler. Ihr könnt auch passende Zitate oder Schlagzeilen aus Zeitungsartikeln dazulegen. Auch Kampagnen-Bilder des Projekts „Leidmedien“ (Link am Ende des Kapitels) sind gut geeignet. Nun soll sich jede/r ein Bild aussuchen, das er/sie mit dem Thema Behinderung verbindet. Reihum wird gesagt, warum man das jeweilige Bild gewählt hat und was es einem bedeutet. Dann könnt ihr euch folgende Fragen stellen und darüber ins Gespräch kommen: Welche Bilder von Behinderung haben wir in unseren Köpfen? Welche Hemmungen und Unsicherheiten können wir  erkennen? Was könnte jeweils dahinterstecken? Gibt es vielleicht auch andere Blickwinkel und Sichtweisen, die die Barrieren in unseren Köpfen aushebeln können?
  • in Gruppenstunden die Auseinandersetzung mit verschiedenen Behinderungen und Beeinträchtigungen einbringen. Das erweitert den Horizont und ist ein wirksames Mittel gegen Hemmungen und Unsicherheiten. Schaut euch zum Beispiel einen Film an, in dem das Thema Behinderung eine Rolle spielt, und besprecht anschließend eure Eindrücke.
  • bei Aktionen mit Kindern und Jugendlichen ausprobieren, wie es ist, eine Aufgabe mit einer Einschränkung zu bewältigen  (zum Beispiel mit verbundenen Augen oder ohne zu sprechen). Tauscht euch danach über eure Beobachtungen und Erfahrungen aus.
  • bei Aktionen oder Gruppenstunden spezielle Sensibilisierungsmethoden und –spiele ausprobieren. Die findet ihr unter anderem auf der DPSG-Bundeshomepage oder in der Arbeitshilfe zur Jahresaktion 2014 „nix besonderes“ (Links am Ende des Kapitels).
  • Möglichkeiten schaffen, bei denen Pfadfinderinnen und Pfadfinder direkt mit Menschen mit Behinderung in Kontakt kommen. Berührungsängste lösen sich nämlich bei persönlichen Begegnungen meist ganz automatisch in Luft auf. Besucht zum Beispiel doch mal eine Werkstatt von Menschen mit geistiger Behinderung oder ladet Vertreter/innen einer Vereinigung behinderter Menschen (z.B. dem Blindenbund) oder einer inklusiven Sportgruppe ins Pfadiheim ein und kommt mit ihnen ins Gespräch.

Pfadfinden für alle ganz konkret – wichtige Schritte auf dem Weg zur Inklusion

Offenheit

Leiterinnen und Leiter müssen sich zunächst die grundlegende Frage stellen:

Wie offen ist unser Stamm für Inklusion?

Wie lässt sich Inklusion in unserem Stamm umsetzen?

Offenheit heißt dabei für eine Leiterrunde nicht, sich zu irgendetwas zu verpflichten oder immer zu 100% allen Erwartungen gerecht zu werden (denn das schafft niemand). Es geht darum, sich grundsätzlich für das Pfadfinden mit und ohne Behinderung einzusetzen. Wenn das der Fall ist, stellt sich direkt die nächste Frage:

Fühlen sich auch wirklich ALLE bei uns willkommen?

Die Frage kommt euch vielleicht komisch vor, u.a. weil das Motto der DPSG-Behindertenarbeit „nix besonderes“ ist – Menschen mit Behinderung gehören bei uns ganz selbstverständlich mit dazu. Wir neigen daher dazu, Inklusion nicht groß zum Thema zu machen, sondern sie einfach zu leben. Und da spricht grundsätzlich natürlich nichts dagegen. Leider ist es aber so, dass es in unserer Gesellschaft generell (noch) keine Selbstverständlichkeit ist, dass Jugendverbände für Menschen mit Behinderung offen sind. Wenn wir also nicht über Inklusion in der DPSG reden, kann es sein, dass Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung nie erfahren, dass sie bei uns willkommen wären. Oder dass die Eltern eines behinderten Kindes gar nicht auf die Idee kommen, dass ihr Kind bei den Pfadfindern mitmachen könnte.

Was können Leiterinnen und Leiter tun?

  • Schreibt bei der Vorstellung eures Stammes und eurer Gruppen (egal ob auf einem Flyer oder der Homepage) doch dazu, dass bei euch alle willkommen sind, d.h. egal welcher Religion sie angehören, aus welchem Land sie kommen, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Dann fühlen sich gleichzeitig zum Beispiel auch Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund eingeladen.
  • Entwerft und veröffentlicht einen Flyer in „Leichter Sprache“[2], um euren Stamm und das Pfadfinden auch Menschen mit einer geistigen Behinderung oder Lernbehinderung vorstellen zu können. Ihr könnt euch dabei am Flyer der DPSG-Bundesebene orientieren (Link am Ende dieses Kapitels) oder diesen direkt verwenden und spezifische Infos zu eurem Stamm ergänzen.
  • Präsentiert euch und das Pfadfinden nicht nur an Orten (z.B. Schulen), an denen es fast ausschließlich Kinder und Jugendliche ohne Behinderung gibt. Überlegt auch, wie ihr Kinder und Jugendliche mit Behinderung erreicht – beispielsweise über inklusive Sportgruppen und –vereine, Inklusionsschulen oder Vereine von Menschen mit Behinderung.

Aufnahme eines Jungen oder Mädchen mit Behinderung in die eigene Gruppe

Wenn ihr angefragt werdet, ob ein Junge oder Mädchen mit einer Behinderung in eure Gruppenstunde kommen kann, empfiehlt es sich, neben den üblichen Fragen (Name, Alter usw.) zunächst folgendes zu klären:

  • Welche körperlichen, geistigen oder sozialen Einschränkungen liegen vor?
  • Welche besonderen Bedürfnisse hat das Kind (bzw. der/ die Jugendliche)?
  • Was fällt ihm oder ihr jeweils im Alltag eher leicht, was eher schwer?

Wichtig ist in dieser Situation, dass Leiterinnen und Leiter kein vorschnelles Urteil fällen, sondern sich zunächst ein eigenes Bild machen. Ladet das Kind/ den Jugendlichen mit Beeinträchtigung in die Gruppenstunde ein. Solltet ihr auf Behinderungen treffen, mit denen ihr im Vorfeld noch keine Erfahrung gemacht habt, dauert es vielleicht eine Zeit lang, bis alles rund läuft und routinierte Abläufe erfolgen können. Scheut euch nicht, um Hilfe zu bitten, mit dem Kind zu sprechen, die Eltern einzubeziehen, Beratung einzuholen (z.B. Organisationen der Behindertenhilfe vor Ort anfragen).  

Vor der ersten gemeinsamen Gruppenstunde kann es Sinn machen, mit den bisherigen Mitgliedern der Gruppe über den Neuankömmling zu sprechen – zum Beispiel, wenn es um einen Jungen mit Autismus geht, dessen Verhalten die Anderen ansonsten unter Umständen irritieren könnte.

Meist empfiehlt es sich, an diesem Punkt nochmal die Eltern einzubeziehen, die ggf. den erhöhten Betreuungs-/Unterstützungsaufwand gut einschätzen können. Bevor Ihr das Kind bzw. den/ die Jugendliche/n in die Gruppe aufnehmt, ist es sinnvoll, mit dem Kind oder dem Jugendlichen und/ oder seinen Eltern folgende Fragen zu klären: 

  • Was ist im Umgang mit dem Kind (oder der/dem Jugendlichen) zu beachten?
  • Wie kann der Gruppenalltag ihren/seinen Bedürfnissen entsprechend gestaltet werden?
  • Müssen Medikamente eingenommen werden?
  • Was ist in Notfällen zu tun?
  • Wie sind die Eltern bei Rückfragen oder im Notfall erreichbar?

Sprecht klar und deutlich an, wenn ihr das Gefühl habt, dass mehr von euch erwartet wird, als ihr leisten könnt. Den Eltern sollte von Anfang an bewusst sein, dass ihr ehrenamtliche Leiterinnen und Leiter seid, nicht etwa Therapeuten oder speziell ausgebildete Fachkräfte der Heil- oder Sonderpädagogik.

Das Leitungsteam sollte sich nach der ersten Begegnung nochmal in Ruhe Gedanken machen, wie es zu der Neuaufnahme steht.  Es ist natürlich auch entscheidend, ob sich das jeweilige Kind oder der/ die Jugendliche in der Gruppe wohlgefühlt hat. Folgende Fragen können bei der Orientierung helfen:

  • Haben wir im Stamm schon Erfahrungen mit Inklusion? Wie können wir aus unseren bisherigen Erfahrungen lernen und darauf aufbauen?
  • Welche Herausforderungen könnten auf uns als Leiter/innen zukommen, wenn wir uns für die Aufnahme entscheiden?
  • Trauen wir uns zu, diese Herausforderungen zu bewältigen?
  • Haben wir die nötigen Ressourcen im Leitungsteam, nach wie vor allen Kindern/ Jugendlichen der Gruppe gerecht zu werden?

Es muss nicht alles perfekt sein, wichtig ist, dass es für beide Seiten gut ist und keine Seite überfordert ist. Dabei sollte nicht nur auf das Kind oder die/den Jugendliche/n geachtet werden, auch ihr als Leiter/innen und die Gruppe sollten dabei berücksichtigt werden. Wenn es dem Kind bzw. dem/ der Jugendlichen nicht gut geht oder die Gruppe ist gefährdet (und auch die Hilfe von außen konnte zu keiner Veränderung beitragen), dann kann es nötig sein, für die betreffende Person eine andere Freizeitmöglichkeit zu suchen.

Schlussendlich ist es wichtig, dass ihr euch als Leiterinnen und Leiter über eure Möglichkeiten, aber auch Grenzen bewusst werdet. Wenn ihr euch überfordert und der Situation nicht gewachsen fühlt, habt keine Hemmungen, „Nein“ zu sagen.

Inklusion im Pfadfinderalltag

Als Leiterinnen und Leiter einer inklusiven Gruppe solltet ihr folgendes beachten:

  • Sprecht ganz offen mit dem jeweiligen Mädchen oder Jungen (und ggf. auch den Eltern) über ihre/ seine Behinderung und deren Folgen. Auch in der Gruppe darf die Behinderung kein Tabu-Thema sein. Fragen sind ausdrücklich erlaubt, wobei persönliche Grenzen aber respektiert werden müssen.
  • Achtet gleichzeitig darauf, dass nicht nur die Behinderung, sondern der ganze Mensch gesehen wird – mit seiner individuellen Persönlichkeit, Stärken und Schwächen.
  • Achtet auf Augenhöhe, vermeidet Bevormundung. Das heißt konkret: Gebt einem Kind (bzw. Jugendliche/n) mit Behinderung Raum, sich auszuprobieren. Unterstützt sie/ihn nur, wenn das gewünscht ist. Und lasst sie/ihn selbst Entscheidungen treffen.
  • Besprecht gemeinsam mit dem Kind (bzw. Jugendliche/n) und ggf. den Eltern, wie die Teilnahme am Gruppenalltag, aber auch an Lagern und Fahrten gut gelingen kann. Es ist nicht schlimm, wenn bei manchen Aktionen nicht alle in gleicher Art und Weise mitmachen können, solange das für alle Beteiligten okay ist.
  • Findet bei Herausforderungen gemeinsam kreative Lösungen. Bindet dabei auch die Leiterrunde mit ein und fragt bei Bedarf auch externe Expert/innen wie etwa Beratungsstellen für Inklusion.
  • Falls durch den Mehrbedarf an Unterstützung oder Betreuung zusätzliche Kosten entstehen (z.B. weil ein persönlicher Assistent mit aufs Lager fährt), könnt ihr spezielle Zuschüsse beantragen (siehe Links am Ende des Kapitels). Fragt auch bei den Eltern des Kindes/ des Jugendlichen nach, ob sie noch Ideen oder Kontakte haben, die euch dabei weiterhelfen können.
  • Reflektiert im Leitungsteam (und ggf. mit Einbindung der Gruppe) regelmäßig, wie es mit der Inklusion im Pfadfinderalltag läuft, und überlegt ggf. gemeinsam, was noch verbessert werden könnte.

Fazit

Wenn bei uns in der DPSG Inklusion gelebt wird, ist das nicht nur ein Gewinn für junge Menschen mit Behinderung, die dadurch Pfadfinderinnen und Pfadfinder werden können. Es ist ein Gewinn für uns alle, weil sich unser Horizont erweitert und Teamwork eine ganz neue Bedeutung bekommt. Ein gemeinsames Pfadfinden mit und ohne Behinderung ist in der Praxis oft leichter als anfangs angenommen. Wir müssen dafür nur unsere eigenen Hemmungen überwinden, uns darauf einlassen und offen aufeinander zugehen. Denn die meisten Barrieren sind in unseren Köpfen. Wenn wir es schaffen, die zu überwinden, findet sich für fast alle Fragen und Herausforderungen eine Lösung.

Weitere Informationen und Materialien

Aktionsheft zur Jahresaktion „nix besonderes 14+“: http://dpsg.de/de/aktionen/jahresaktion/jahresaktion-2014/downloads.html

Foto-Kampagne des Projekts „Leidmedien“:

http://leidmedien.de/

Fördermöglichkeiten der Aktion Mensch (weitere Förderungen gibt es über die Jugendringe, informiert euch dafür auf Bezirks- und Landesebene):

https://www.aktion-mensch.de/projekte-engagieren-und-foerdern/foerderung/foerderprogramme/kinder-und-jugendhilfe.html

Film-Tipps zum Thema (Beispiele):

„Ziemlich beste Freunde“, „Verstehen Sie die Beliérs?“, „Vincent will Meer“, „Jenseits der Stille“, „Erbsen auf halb sechs“, „Gold – Du kannst mehr als du denkst“

DPSG-Flyer in Leichter Sprache:

http://dpsg.de/de/fuer-mitglieder/logos-design/vorlagen/vorlagen-print/infofolder-vorlage-druckdaten.html

Sinnesspiele und co auf der DPSG-Seite Behindertenarbeit:

http://dpsg.de/de/themen/behindertenarbeit/fuer-leitungsteams.html

Infos zur Leichten Sprache:

http://leichtesprache.org/index.php/startseite/leichte-sprache/das-ist-leichte-sprache

Mehr Informationen:

http://dpsg.de/de/themen/Behindertenarbeit.html

Kontakt zum Bundesarbeitskreis Behindertenarbeit:

behindertenarbeit@dpsg.de

 



[1] Die Abgrenzung zwischen Behinderung und Beeinträchtigung ist wie beschrieben schwierig und beides kann im Pfadfinderalltag vorkommen. Der Vollständigkeit halber müsste man daher hier immer von beidem sprechen. Für eine bessere Lesbarkeit beschränkt sich der Text auf den Begriff „Behinderung“, damit kann gleichermaßen aber auch immer eine Beeinträchtigung gemeint sein (z.B. durch eine Krankheit).

[2] Leichte Sprache wird eingesetzt, um Texte für Menschen mit geistigen Behinderungen oder Lernbehinderungen verständlicher zu machen. Sie ist aber auch hilfreich für Menschen, die nicht so gut Deutsch sprechen. Wichtig bei der Leichten Sprache ist zum Beispiel, dass man nur einfache Wörter und kurze Sätze verwendet. Das „Netzwerk Leichte Sprache“ (siehe Links) bietet einen guten Überblick über die Regeln.