Beispiel 1

Ein Jungpfadfinder hackt unter Aufsicht seines Gruppenleiters Holz für das Lagerfeuer. Der Jungpfadfinder hat schon häufiger Holz gehackt und der Leiter hat ihm zuvor erklärt, worauf er achten muss. Dennoch rutscht das Beil ab und landet im Bein des Kindes.

Hat der Leiter seine Aufsichtspflicht verletzt?

In diesem ersten Fall stellen wir die Antwort in der ausführlichen Form dar, indem wir die Fahrlässigkeits-Checkliste einzeln durchgehen, damit das Schema einmal praktisch veranschaulicht wird. In den nachfolgenden Fällen fassen wir die Ergebnisse aus den Antworten zur Fahrlässigkeits-Checkliste zusammen. Das Prinzip ist aber immer dasselbe.

Pflicht zur Information: Beteiligt ist ein Jungpfadfinder (ca. 13 Jahre alt), der schon einmal Holz gehackt hat, und ein Leiter. Es ist nicht unverantwortlich, ein 13 Jahre altes Kind Holz hacken zu lassen. Das Aufsichtsverhältnis beträgt 1:1, die besondere Gefahr geht von dem Beil aus. Sonst gibt es keine besonderen Gefahren.

Pflicht zur Gefahrvermeidung: Die Gefahr, die durch die Benutzung des Beils entsteht, kann nicht "weggeschafft" werden, weil das Beil zum Holz hacken nötig ist.

Pflicht zu Hinweisen und Warnungen: Der Leiter hat den Jungpfadfinder darauf hingewiesen, wie er mit dem Beil umzugehen hat. 

Pflicht zur Aufsichtsführung: Der Leiter ist die ganze Zeit anwesend und kontrolliert die Einhaltung der Anweisungen.

Pflicht zum Eingreifen: Hier besteht kein Anlass und keine Möglichkeit zum Eingreifen, solange man nicht annimmt, der Jungpfadfinder darf selbst niemals Holz hacken.

Ergebnis: Das Kind hat ein angemessenes Alter und die körperlichen Fähigkeiten, mit einem Beil umzugehen. Außerdem hat es bereits Erfahrungen beim Holz hacken gesammelt. Der Leiter hat zuvor auf Risiken hingewiesen und Anweisungen gegeben, worauf das Kind achten muss, und eine Daueraufsicht ausgeübt. Mehr hätte der Leiter in dieser Situation nicht tun können. Daher hat der Leiter nicht seine Aufsichtspflicht verletzt. Es hat sich das allgemeine Lebensrisiko erfüllt.

 

 

Beispiel 2

Im Sommerlager der Wölflingsstufe: Die vier begleitenden Leiterinnen und Leiter haben am Vorabend tief ins Glas geschaut und bis spät in die Nacht gefeiert. Deshalb verschlafen sie am nächsten Morgen. Gegen 10 Uhr morgens schläft das Leitungsteam noch, die Wölflinge wollten lieb sein und schon einmal Frühstück machen. Dazu wollten sie den Gasbrenner für die Zubereitung von heißem Kakao benutzen. Ein Wölfling hatte Streichhölzer dabei. Dabei hat sich ein Wölfling schwer verbrannt. Hat das Leitungsteam seine Aufsichtspflicht verletzt?

Es ist vorhersehbar, dass Kindern im Lager, wenn die Leiterinnen und Leiter sich nicht um sie kümmern, langweilig wird und sie sich selbst Programm überlegen, insbesondere etwas zu essen machen. Dem Leitungsteam war es zumutbar, zur gewohnten Zeit aufzustehen und die Kinder zu beaufsichtigen. Dass die Kinder möglicherweise schon einmal in der Küche geholfen haben oder dass es ein generelles Verbot gibt, die Küche nicht ohne Leiterinnen und Leiter zu betreten, genügt in diesem Fall nicht. Daher hat das Leitungsteam seine Aufsichtspflicht verletzt.

 

 

 

Beispiel 3

In der Gruppenstunde der Pfadfinder: Die Pfadis machen ein zweistündiges Stadtspiel. In 4er-Gruppen ziehen sie los, um Aufgaben zu lösen. Das Leitungsteam wartet im Café und die Kinder wissen, dass sie sie im Notfall dort finden. Eine Gruppe trifft bei dem Spiel auf Schulkameraden, die mit Skateboards unterwegs sind. Die Pfadi-Gruppe vergisst das Stadtspiel und will auch Skateboard fahren. Ein Mädchen, das vorher noch nie Skateboard gefahren ist, stürzt und bricht sich den Arm. Haben die Leiterinnen und Leiter ihre Aufsichtspflicht verletzt?

Pfadfinder sind alt genug, um sich gewisse Zeit auch ohne Leiterin oder Leiter in einer Stadt zu bewegen. Zwei Stunden sind auch eine angemessene  Zeit, in der die Leiterinnen und Leiter keine Kontrollgänge machen müssen. Dass die Kinder gefährliche Aktionen auf eigene Faust starten, kann immer passieren. Wichtig ist nur, dass das Leitungsteam dies frühzeitig hätte erkennen können. Das war hier aber der Fall, insbesondere da nach dem Unfall direkt die Leiterinnen und Leiter zur Stelle sein konnten. Das Leitungsteam hat seine Aufsichtspflicht also nicht verletzt.

 

 

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