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1.1.1    Formen von Kindeswohlgefährdung

Denkt man über mögliche Formen von Gewalt nach, mit denen Kinder und Jugendliche in ihrer Umgebung konfrontiert werden können, denkt man häufig an Formen körperlicher Gewalt. Doch es gibt auch weitere Formen, die das Kindeswohl gefährden können und so verhindern, dass sich Kinder und Jugendliche zu starken und selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln können. 

 

Misshandlung

Körperliche Misshandlung

Körperliche Misshandlung meint alle Handlungen von Eltern oder Dritten, die durch Anwendung von körperlicher Gewalt das Kind, die Jugendliche oder den Jugendlichen verletzen bzw. schädigen. 

 

Psychische Misshandlung

Psychische Misshandlung umfasst alle Verhaltensweisen, durch die sich ein Kind massiv ängstigt und sich wertlos, ungeliebt oder abgelehnt fühlt. Die Betroffenen werden durch kontinuierliche Herabsetzung, Ausgrenzung oder anderen Formen der Demütigung (zum Beispiel Ablehnung, Isolation, Bloßstellung oder Ignoranz) in ihrer Entwicklung bedeutend beeinträchtigt oder geschädigt.

 

Vernachlässigung

Vernachlässigung ist eine andauernde oder wiederholte Unterlassung fürsorglichen Handelns durch sorgeverantwortliche Personen (Eltern, andere Pflegepersonen), welche zur Sicherstellung der körperlichen und psychischen Versorgung eines Kindes notwendig ist. Grundlegende Bedürfnisse bleiben über einen längeren Zeitraum unbeantwortet.  

 

Sexualisierte Gewalt

Sexualisierte Gewalt ist eine individuelle, alters- und geschlechtsabhängige Grenzverletzung und meint jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind oder einer oder einem Jugendlichen entweder gegen dessen Willen vorgenommen wird oder der das Kind oder die oder der Jugendliche aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Überlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Die Täterin oder der Täter nutzt ihre oder seine Macht- und Autoritätsposition aus, um ihre oder seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes, der Jugendlichen oder des Jugendlichen zu befriedigen.3

 

 

1.1.2    Formen sexualisierter Gewalt

Gerade im Bereich sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche herrscht oft Ratlosigkeit unter Leiterinnen und Leitern. Wann ist etwas „sexualisierte Gewalt“? Wir unterscheiden zwischen Grenzverletzungen, sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch. 

 1. Eine Grenzverletzung ist ein unangemessenes Verhalten und nach dem Strafgesetzbuch (StGB) keine Straftat. Nicht jede Grenzverletzung ist sexuell motiviert oder wird bewusst durchgeführt. 

 2. Sexuelle Übergriffe gehen über Grenzverletzungen hinaus. Anders als Grenzverletzungen sind sie in jedem Fall beabsichtigt und sexuell motiviert. Auch hierbei muss es sich noch nicht um Straftaten gemäß Strafgesetzbuch handeln. 

Beispiele für Grenzverletzungen und sexuelle Übergriffe sind unter anderem Gespräche, Filme oder Bilder, die nicht altersgemäß sind, Berührungen an Stellen, die als unangenehm empfunden werden oder auch Handlungen, die zu einer sexuellen Erregung der Täterin bzw. des Täters beitragen sollen, auch wenn diese von Dritten als harmlos angesehen werden. 

Ob ein Verhalten eine Grenzverletzung oder einen sexuellen Übergriff darstellt, ist abhängig von verschiedenen Faktoren. Zu diesen Faktoren gehören unter anderem die Motivation der übergriffigen Person sowie das Empfinden der oder des Betroffenen. 

 3. Sexueller Missbrauch meint alle Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§174 ff. StGB). Er passiert niemals aus Versehen, ist immer eindeutig und von der Täterin oder dem Täter gewollt. 

Auch wenn Grenzverletzungen und sexuelle Übergriffe noch keine strafbaren Handlungen gemäß Strafgesetzbuch sind, ist es wichtig, sie als solche erkennen zu können. 

Jede Art der Grenzverletzung, sexualisierter Übergriff oder Missbrauch haben in unserem Verband keinen Platz! 

Es gilt, bereits bei Grenzverletzungen und sexualisierten Übergriffen tätig zu werden, um es gar nicht zu weiteren Übergriffen oder gar einem Missbrauch kommen zu lassen. 

1.2 Signale und Symptome

Betroffene sexualisierter Gewalt sind oft widersprüchlichen Gefühlen ausgesetzt, die es zusätzlich erschweren, Hilfe und Unterstützung zu finden oder überhaupt wieder handlungsfähig zu werden. Natürlich gilt auch hier: Kinder und Jugendliche sind verschieden und nicht alles trifft auf alle Fälle zu – doch kann so vielleicht ein Einblick in die Gefühlswelt vermittelt werden:

  • Schuldgefühle: Betroffene gehen oft davon aus, dass nur ihnen so etwas passiert und glauben in ihrem eigenen Verhalten den Grund für das Geschehene zu finden. Täterinnen und Täter nutzen dies aus und fördern sie nach Kräften.
  • Scham: Aus Angst vor Verachtung und Zurückweisung vertrauen sich Betroffene oft nicht an. Sie fühlen sich nicht mehr zugehörig oder ekeln sich vor sich selbst. Sie ziehen sich immer stärker zurück. Dazu kommt oftmals der Verlust des Selbstwertgefühls.
  • Zweifel an der eigenen Wahrnehmung: Kinder und Jugendliche, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, sind häufig in ihrer eigenen Wahrnehmung stark verunsichert. Ihnen werden Gefühle, die sie selbst nicht haben, durch die Täterin oder den Täter eingeredet. Sie verlernen so, ihren eigenen Gefühlen zu vertrauen. Wenn es sich bei der Täterin oder dem Täter um eine Person handelt, die von allen als herzlich, nett oder vertrauensvoll wahrgenommen wird, werden die Zweifel an der eigenen Wahrnehmung zusätzlich verstärkt. 

Kinder und Jugendliche, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, können die unterschiedlichsten Merkmale aufweisen. Besonders extreme Verhaltensweisen und auch Wesensänderungen können Signale sein. Genauso kann es passieren, dass Kinder und Jugendliche, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, ihrem Alter nicht angemessenes, sexualisiertes Verhalten an den Tag legen. Vielleicht verhalten sie sich distanzlos oder sie isolieren sich völlig. Selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen, Schlaflosigkeit und Konzentrationsstörungen; all das können Signale dafür sein, dass das Kind oder die bzw. der Jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt geworden ist. 

Ein Rückschluss von bestimmten Symptomen oder beobachtetem Verhalten auf sexualisierte Gewalt ist allerdings nicht möglich, denn diese können auch andere Ursachen haben.  

1.3 Der Mythos vom fremden Täter

Sexualisierte Gewalt findet zum überwiegenden Teil im sozialen Nahraum von Kindern und Jugendlichen statt. Wenn Kinder und Jugendliche zu Opfern von sexualisierter Gewalt im Umfeld werden, geschieht dies oftmals in ihrer eigenen Familie und Verwandtschaft, im Umfeld von Schule und Ausbildung aber auch im Umfeld von Vereinen, Verbänden oder anderen Gruppierungen, denen sie angehören. Auch Kinder und Jugendliche, die sich in professioneller pädagogischer oder psychologischer Betreuung befinden (Therapie, Unterbringung in Einrichtungen der Jugendhilfe, Pflegefamilien, …) können Opfer sexualisierter Gewalt werden. Es ist selten die unbekannte Täterin, der unbekannte Täter, die oder der aus dem Nichts kommt und das Opfer missbraucht. Die Warnungen „vom fremden Mann“ im dunklen Auto nutzen demzufolge wenig, denn meist ist es eben der Freund der Familie, der Onkel, die Nachbarin, die Gruppenleiterin, der Gruppenleiter, die Erzieherin, die Lehrerin, der Hausmeister, der Pfarrer, der Vater oder die Mutter, die Ärztin,… Es sind Menschen, die den Kindern und Jugendlichen nahe stehen, die sie kennen und denen sie oftmals vertrauen. 

Das bedeutet, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass Kinder und Jugendliche auch innerhalb unseres Verbandes Opfer von sexualisierter Gewalt werden. Ebenso ist es möglich, dass Kinder und Jugendliche, die sexualisierte Gewalt außerhalb des Verbandes erfahren, sich in der vertrauten und offenen Atmosphäre ihrer Gruppe öffnen und von ihren schlimmen Erlebnissen berichten oder diese auch ohne den Bericht des Opfers deutlich werden. Auf beide denkbaren Situationen müssen Verantwortliche im Verband in angemessener Art und Weise reagieren.

 

1.4 Sensibilisierung für Übergriffe von Leitungskräften in Jugendverbänden

Die oben beschriebenen Strukturen sind für Jugendverbandsarbeit elementar und können und sollen nicht aufgebrochen werden. Denn die Strukturen der DPSG bauen auf Vertrauen und Beziehung auf. Die Kinder und Jugendlichen sollen sich wohlfühlen und Spaß haben. Innerhalb dieser Strukturen erleben sie Gemeinschaft, Nähe und Vertrauen und lernen, Beziehungen aufzubauen. 

Doch gerade diese vertrauten Strukturen können Täterinnen und Täter nutzen, denn in den häufigsten Fällen funktioniert sexueller Missbrauch über Beziehung und Manipulation. 

Dabei legen sich Täterinnen und Täter Strategien zurecht: unklare Regeln werden ausgenutzt, Vertrauen der Leiterrunde missbraucht oder unangemessene körperliche Kontakte in Spielsituationen eingebettet, so dass sie nur schwer unterschieden werden können. Manipuliert werden nicht nur die Kinder und Jugendlichen, auch die Umgebung wird gezielt beeinflusst. 

Gerade deswegen ist wichtig, dass Leiterinnen und Leiter sich der Gefahren bewusst sind. Um Unsicherheiten zu vermeiden, hilft es, klare Regeln für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen im Vorfeld mit der Leiterrunde aufzustellen und diese regelmäßig in der Leiterrunde zu reflektieren.   



1 BGB §1631, Abs. 2

2 Ordnung der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg, S. 8

3 Bange D. Deegener G. Sexueller Missbrauch an Kindern – Ausmaß, Hintergründe, Folgen. Weinheim 1996