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1.1 Begriffsbestimmung: Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung 

 

Der Begriff des Kindeswohls ist ein Rechtsbegriff und umschreibt das gesamte Wohlergehen eines Kindes. Sowohl der Begriff des Kindeswohls als auch der Begriff der Kindeswohlgefährdung ist an keiner Stelle gesetzlich definiert, daher muss immer im Einzelfall entschieden werden, ob es sich um eine Kindeswohlgefährdung handelt oder nicht. Und doch gibt es gewisse Kriterien, anhand derer sich das Wohl eines Kindes beurteilen lässt. 

Dabei ist der Begriff des Kindeswohls keiner, der unverändert die Jahre überdauert. Ganz im Gegenteil: was für das Wohl von Kindern und Jugendlichen als richtig und wichtig angesehen wurde, hat sich durch die Jahrhunderte gewandelt und entwickelt. 

Eine weltweit gültige Grundlage, in der die Grundbedürfnisse und Rechte von Kindern und Jugendlichen formuliert werden, ist die UN-Kinderrechtskonvention die 1990 in Kraft trat. Auch wenn diese nicht im Grundgesetz verankert sind, sind in Deutschland die Rechte aller durch das Grundgesetz geschützt. Demnach haben sie ein Recht auf die Achtung ihrer Menschenwürde, ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, sowie ein Recht auf die Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Darüber hinaus ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) das Recht der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung festgeschrieben. Hier heißt es: „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“1 In Deutschland sind für das Wohl der heranwachsenden Minderjährigen in erster Line die Eltern zuständig. Der Staat greift nur ein, wenn es erkennbar eine unmittelbare Gefahr für das Wohl der Heranwachsenden gibt.  

Erziehungsziele der DPSG

Auch die DPSG hat in ihrer Ordnung festgelegt, welchen Erziehungszielen sie sich verpflichtet: „Der Verband fördert junge Menschen: Sie lernen ihre sozialen und emotionalen, spirituellen und geistigen sowie körperlichen Fähigkeiten einzusetzen. Die DPSG erzieht ihre Mitglieder zu einer kritischen Weltsicht und schafft einen Freiraum für den Entwurf neuer Ideen. So handeln sie als verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger, als Christinnen und Christen sowie als Mitglieder ihrer lokalen, nationalen und weltweiten Gemeinschaften.“2 Kinder und Jugendliche zu fördern und zu stärken sind Ausgangspunkte für die pädagogischen Ziele des Verbandes. In engem Zusammenhang mit dem Thema der Bausteine „Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ steht immer auch ein Blick auf den persönlichen Entwicklungsstand und die Lebenswelt des Einzelnen. Hierzu sind die Bausteine 2a und 2b an anderer Stelle des Ausbildungskonzeptes beschrieben worden. Diese bilden eine wichtige Grundlage, um unterscheiden zu können, was förderlich und im Rahmen des Erwachsenwerdens normal ist oder aber was ungünstig und kritisch für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist.

 

 

1.1.1    Formen von Kindeswohlgefährdung

Denkt man über mögliche Formen von Gewalt nach, mit denen Kinder und Jugendliche in ihrer Umgebung konfrontiert werden können, denkt man häufig an Formen körperlicher Gewalt. Doch es gibt auch weitere Formen, die das Kindeswohl gefährden können und so verhindern, dass sich Kinder und Jugendliche zu starken und selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln können. 

 

Misshandlung

Körperliche Misshandlung

Körperliche Misshandlung meint alle Handlungen von Eltern oder Dritten, die durch Anwendung von körperlicher Gewalt das Kind, die Jugendliche oder den Jugendlichen verletzen bzw. schädigen. 

 

Psychische Misshandlung

Psychische Misshandlung umfasst alle Verhaltensweisen, durch die sich ein Kind massiv ängstigt und sich wertlos, ungeliebt oder abgelehnt fühlt. Die Betroffenen werden durch kontinuierliche Herabsetzung, Ausgrenzung oder anderen Formen der Demütigung (zum Beispiel Ablehnung, Isolation, Bloßstellung oder Ignoranz) in ihrer Entwicklung bedeutend beeinträchtigt oder geschädigt.

 

Vernachlässigung

Vernachlässigung ist eine andauernde oder wiederholte Unterlassung fürsorglichen Handelns durch sorgeverantwortliche Personen (Eltern, andere Pflegepersonen), welche zur Sicherstellung der körperlichen und psychischen Versorgung eines Kindes notwendig ist. Grundlegende Bedürfnisse bleiben über einen längeren Zeitraum unbeantwortet.  

 

Sexualisierte Gewalt

Sexualisierte Gewalt ist eine individuelle, alters- und geschlechtsabhängige Grenzverletzung und meint jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind oder einer oder einem Jugendlichen entweder gegen dessen Willen vorgenommen wird oder der das Kind oder die oder der Jugendliche aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Überlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Die Täterin oder der Täter nutzt ihre oder seine Macht- und Autoritätsposition aus, um ihre oder seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes, der Jugendlichen oder des Jugendlichen zu befriedigen.3

 

 

1.1.2    Formen sexualisierter Gewalt

Gerade im Bereich sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche herrscht oft Ratlosigkeit unter Leiterinnen und Leitern. Wann ist etwas „sexualisierte Gewalt“? Wir unterscheiden zwischen Grenzverletzungen, sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch. 

 1. Eine Grenzverletzung ist ein unangemessenes Verhalten und nach dem Strafgesetzbuch (StGB) keine Straftat. Nicht jede Grenzverletzung ist sexuell motiviert oder wird bewusst durchgeführt. 

 2. Sexuelle Übergriffe gehen über Grenzverletzungen hinaus. Anders als Grenzverletzungen sind sie in jedem Fall beabsichtigt und sexuell motiviert. Auch hierbei muss es sich noch nicht um Straftaten gemäß Strafgesetzbuch handeln. 

Beispiele für Grenzverletzungen und sexuelle Übergriffe sind unter anderem Gespräche, Filme oder Bilder, die nicht altersgemäß sind, Berührungen an Stellen, die als unangenehm empfunden werden oder auch Handlungen, die zu einer sexuellen Erregung der Täterin bzw. des Täters beitragen sollen, auch wenn diese von Dritten als harmlos angesehen werden. 

Ob ein Verhalten eine Grenzverletzung oder einen sexuellen Übergriff darstellt, ist abhängig von verschiedenen Faktoren. Zu diesen Faktoren gehören unter anderem die Motivation der übergriffigen Person sowie das Empfinden der oder des Betroffenen. 

 3. Sexueller Missbrauch meint alle Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§174 ff. StGB). Er passiert niemals aus Versehen, ist immer eindeutig und von der Täterin oder dem Täter gewollt. 

Auch wenn Grenzverletzungen und sexuelle Übergriffe noch keine strafbaren Handlungen gemäß Strafgesetzbuch sind, ist es wichtig, sie als solche erkennen zu können. 

Jede Art der Grenzverletzung, sexualisierter Übergriff oder Missbrauch haben in unserem Verband keinen Platz! 

Es gilt, bereits bei Grenzverletzungen und sexualisierten Übergriffen tätig zu werden, um es gar nicht zu weiteren Übergriffen oder gar einem Missbrauch kommen zu lassen. 



1 BGB §1631, Abs. 2

2 Ordnung der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg, S. 8

3 Bange D. Deegener G. Sexueller Missbrauch an Kindern – Ausmaß, Hintergründe, Folgen. Weinheim 1996

 

 

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