Auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, in der alle Menschen die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben, müssen an vielen Stellen Barrieren abgebaut werden. Manchmal fehlt es an Rampen, mit denen man Stufen überwinden kann – oder an Regelschulen, die den Bedürfnissen von Kindern mit Behinderung[1] entsprechen. Viele Barrieren aber sind unsichtbar in unseren Köpfen.
Es kommt zum Beispiel häufig vor, dass wir…
- das Thema Behinderung gedanklich mit einem Gefühl von Mitleid oder Hilflosigkeit verknüpfen. Das merkt man übrigens auch in den Medien – achtet mal bewusst darauf, wie über behinderte Menschen geschrieben wird.
- verunsichert sind, wie wir uns gegenüber Menschen mit Behinderung verhalten sollen.
- ein bestimmtes Bild von Behinderung im Kopf haben und daraus automatisch Schlüsse ziehen, wenn wir Betroffenen begegnen.
Solche Phänomene entsprechen unserer menschlichen Natur und sind uns oft gar nicht bewusst. Und doch bestimmen sie, wie wir mit den Themen Behinderung und Inklusion umgehen, ohne dass wir das merken. Zum Beispiel in der U-Bahn, wenn wir uns fragen, ob wir dem blinden Mann den Weg zur Tür zeigen sollten. Oder in dem Moment, wenn eine Mutter anruft und fragt, ob ihr behinderter Sohn in die Gruppenstunde kommen kann.
Hemmungen, Berührungsängste und bestimmte Denkmuster lassen sich nicht ausschalten wie ein Computer. Es macht auch wenig Sinn, sie zu verleugnen. Es ist vor allem wichtig, dass wir uns diesen Barrieren bewusst werden, sie hinterfragen und über den Haufen werfen, wo es uns möglich ist. Denn manche äußere Barrieren (z.B. an Häusern oder draußen in der Natur) lassen sich nur schwer überwinden, aber die Barrieren in unseren Köpfen haben wir selbst in der Hand.
Es lohnt sich also, einen Blick auf die eigenen Hemmungen und Berührungsängste zu werfen, egal ob es im eigenen Stamm Mitglieder mit Behinderung gibt oder nicht. Schließlich sind alle Pfadfinder ein Teil der Gesellschaft und damit mitverantwortlich für Inklusion.
Leiterinnen und Leiter können Behinderung zum Thema machen, indem sie…
- in der Gruppenstunde oder Leiterrunde Fragen wie diese aufwerfen: Welche Erfahrungen habt ihr schon mit Menschen mit Behinderung gehabt? Seid ihr mit dem Thema Behinderung schon in Kontakt gekommen? Inwiefern prägt das vielleicht euren Blickwinkel?
- in der Gruppenstunde oder Leiterrunde verschiedene Bilder auslegen, die etwas mit Behinderung zu tun haben. Darauf können beispielsweise Kinder oder Jugendliche mit Behinderung abgebildet sein, berühmte Persönlichkeiten oder Paralympics-Sportler/innen. Ihr könnt auch passende Zitate oder Schlagzeilen aus Zeitungsartikeln dazulegen. Auch Kampagnen-Bilder des Projekts „Leidmedien“ (Link am Ende des Kapitels) sind gut geeignet. Nun soll sich jede/r ein Bild aussuchen, das sie/er mit dem Thema Behinderung verbindet. Reihum wird gesagt, warum man das jeweilige Bild gewählt hat und was es einem bedeutet. Dann könnt ihr euch folgende Fragen stellen und darüber ins Gespräch kommen: Welche Bilder von Behinderung haben wir in unseren Köpfen? Welche Hemmungen und Unsicherheiten können wir erkennen? Was könnte jeweils dahinterstecken? Gibt es vielleicht auch andere Blickwinkel und Sichtweisen, die die Barrieren in unseren Köpfen aushebeln können?
- in Gruppenstunden die Auseinandersetzung mit verschiedenen Behinderungen und Beeinträchtigungen einbringen. Das erweitert den Horizont und ist ein wirksames Mittel gegen Hemmungen und Unsicherheiten. Schaut euch zum Beispiel einen Film an, in dem das Thema Behinderung eine Rolle spielt und besprecht anschließend eure Eindrücke.
- bei Aktionen mit Kindern und Jugendlichen ausprobieren, wie es ist eine Aufgabe mit einer Einschränkung zu bewältigen (zum Beispiel mit verbundenen Augen oder ohne zu sprechen). Tauscht euch danach über eure Beobachtungen und Erfahrungen aus.
- bei Aktionen oder Gruppenstunden spezielle Sensibilisierungsmethoden und -spiele ausprobieren. Die findet ihr unter anderem auf der DPSG-Bundeshomepage oder in der Arbeitshilfe zur Jahresaktion 2014 „nix besonderes“ (Links am Ende des Kapitels).
- Möglichkeiten schaffen, bei denen Pfadfinderinnen und Pfadfinder direkt mit Menschen mit Behinderung in Kontakt kommen. Berührungsängste lösen sich nämlich bei persönlichen Begegnungen meist ganz automatisch in Luft auf. Besucht zum Beispiel mal eine Werkstatt von Menschen mit geistiger Behinderung oder ladet Vertreter/innen einer Vereinigung behinderter Menschen (z.B. dem Blindenbund) oder einer inklusiven Sportgruppe ins Pfadiheim ein und kommt mit ihnen ins Gespräch.
[1] Die Abgrenzung zwischen Behinderung und Beeinträchtigung ist wie beschrieben schwierig und beides kann im Pfadfinderalltag vorkommen. Der Vollständigkeit halber müsste man daher hier immer von beidem sprechen. Für eine bessere Lesbarkeit beschränkt sich der Text auf den Begriff „Behinderung“, damit kann gleichermaßen aber auch immer eine Beeinträchtigung gemeint sein (z.B. durch eine Krankheit).